14. Februar 2022
Was für ein Abstimmungssonntag!
Die Nacht war kurz und unruhig. Bald vier Jahre engagiere ich mich im Auftrag von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz für die Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» – und heute ist der entscheidende Tag, alles oder nichts. Die Zugfahrt nach Bern ist dementsprechend unendlich lang. Die Spannung steigt.
Ein kurzer Blick zurück: Die Kampagne war eine grosse Herausforderung. Mit wenig personellen und finanziellen Ressourcen mussten wir einen nationalen Abstimmungskampf bestreiten gegen scheinbar übermächtige Gegner. Jeden Franken mussten wir gezielt und gut überlegt einsetzen – das Geld stammt schliesslich von Mitgliederbeiträgen und Spenden der Trägerorganisationen. Besonders schwierig war dies in der Schlussphase, in der unsere Gegner schnell noch ein paar Millionen investieren konnten. Wir mussten anders arbeiten, konnten zum Beispiel nur ein Sujet produzieren – und das musste entsprechend «sitzen». Schwierige Prozesse und harte Entscheidungen, die wir intern und extern verteidigen und verantworten mussten.
Unsere Kommunikationsstrategie war klar: Wir konzentrieren uns auf Inhalte, Argumente, Fakten und unsere glaubwürdigen Botschafter:innen. Kommunikativ ist dies nicht ohne Risiko. Wir wissen alle, dass plakative Vereinfachungen verlockend und einprägsam sind. Aber wir blieben uns treu, auch Stil und Tonalität haben wir jederzeit gewahrt. Wir haben uns für eine Strategie entschieden, die zur Trägerschaft der Initiative passt, und wir haben sie durchgezogen. Mit gutem Storytelling dazu, dank dem wir die Nase wenigstens in der Medienarbeit klar vorne hatten.
Selten durfte ich Teil eines so motivierten und konstruktiven Teams sein. Bunt, aus verschiedenen Organisationen und Agenturen zusammengestellt, mussten wir uns innert kürzester Zeit zu einem schlagkräftigen Kampagnenteam formen. Das ist uns gelungen. Mehr noch: Es war eine Freude, auch persönlich, mit ihnen allen zusammen zu arbeiten.
Der Saal füllt sich. Viele Gesichter, mit denen ich die letzten Monate intensiv, sehr intensiv oder sporadisch zusammen gearbeitet habe, sind da. Die Spannung steigt nochmals, die Nervosität ebenso. Die Medienarbeit lenkt mich gut ab, die Wünsche der Medienschaffenden sind anspruchsvoll. Zum Glück. Aber der Blick geht immer wieder zum Bildschirm, der die Ergebnisse aus den Kantonen zeigt. Neuste Hochrechnung. Einschätzungen. Das Herz rast.
Und dann ist es geschafft! Emotionen pur! Die berufliche Professionalität ist kurz weg. Riesige Freude. Unglaublich. Auf dem Grossbildschirm im Saal ist die Rede von einem historischen Sieg. Das ist er. Trotz starkem Gegenwind aus Politik und Wirtschaft und der mächtigen Tabaklobby haben wir uns durchgesetzt und mit glaubwürdigen Botschafter:innen und sachlichen Argumenten überzeugt. Und damit auch gezeigt, dass Geld und Angstmacherei allein nicht reichen, um an der Urne Mehrheiten zu gewinnen.
Vor gut sechs Jahren habe ich meine Mutter viel zu früh an Lungenkrebs verloren. Sie hatte schon als Teenager mit dem Rauchen begonnen. Dass ich jetzt mit unserer erfolgreichen Kampagne einen wichtigen Teil dazu beigetragen durfte, dass künftige Generationen vor solchem Leid besser geschützt werden, bedeutet mir viel, sehr viel. Es ist ein Privileg, sich beruflich für das engagieren zu dürfen, was einem auch ganz persönlich am Herzen liegt und von dem man überzeugt ist, dass es richtig ist. Und das alles an einem historischen Abstimmungssonntag mit Menschen zu teilen, die dieses Engagement mittragen.
Sandra Hügli