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24. Oktober 2024

Tabak, eine endlose Geschichte?

Am 1. Oktober 2024 trat das Tabakproduktegesetz in Kraft. Gleichzeitig diskutierte der Ständerat noch über die Revision dieses Gesetzes. Absurd? Ja – und nein! Ja, denn wann hat es das schon gegeben, dass bereits vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes seine erste Revision unterwegs ist, und dies erst noch bereits im Parlament?

Der Vorlauf
Nun, es ist die Geschichte eines Parlaments, das auf einem Auge blind ist, dem Präventionsauge. Seit nunmehr neun Jahren versucht der Bundesrat, seinen Auftrag zu erfüllen und die Überreste des alten Lebens- und Genussmittelgesetzes in ein eigenes Gesetz zu den Tabakprodukten zu bringen. Er hat 2011 darauf verzichtet, zeitgleich mit dem neuen Lebensmittelgesetz auch eine Regulierung für den Tabak in den Gesetzgebungsprozess zu bringen, womit der Tabak übergangsmässig zwischen Stuhl und Bank fiel. Das blieb auch nach dem ersten Versuch des Bundesrates per November 2015 so. Das Parlament verweigerte die Gesetzgebungsarbeit und wies 2016 den Entwurf an den Bundesrat zurück, mit klarem Auftrag zur Entschärfung der Regulierung.

Die Initiative

Diesen Affrontliessen sich die Organisationen der Tabakprävention nicht gefallen. Sie kamen zum Schluss, dass nur eine Volksinitiative eine tabakfreundliche Regulierung verhindern könnte, und dass der Dreh- und Angelpunkt des Konflikts die Tabakwerbung sein würde.

2017 war es soweit, ein Trägerverein wurde gegründet, das Sekretariat bei mfe - Haus- und Kinderärzte Schweiz angesiedelt und damit bei polsan. Ab März 2018 begann die Unterschriftensammlung für die Initiative Kinder ohne Tabak. Trotz schwierigen Bedingungen konnte diese Herkulesaufgabe gestemmt werden, alle Organisationen zogen an einem Strick. Markus Koch, Alexandra Walpen, Sandra Hügli und Reto Wiesli auf Agenturseite sowie Vorstand und Mitglieder unter dem Präsidium von Hans Stöckli schafften es, am 12. September 2019 die Initiative in der Bundeskanzlei zu deponieren. Ein ganz besonderer Moment, der uns zurecht stolz machte.

Im Parlament
Die Initiative entfaltete bereits vor fünf Jahren ihre erste Vorwirkung, denn kurz nach der Einreichung fand im Ständerat die erste Debatte über das neue, von «zu wirksamem» präventivem Inhalt «gesäuberte» Projekt des Tabakproduktegesetzes statt. Und interessanterweise kamen Elemente, die zuvor explizit vom selben Rat abgelehnt wurden, wieder in den Entwurf. Danach fanden die Wahlen statt, Corona machte seine Aufwartung – alles änderte sich. Der neue Nationalrat krebste wieder zurück und bis in den September 2021 war kaum mehr etwas auszurichten. Früh war deshalb klar, dass die Initiative kaum zurückgezogen werden konnte – die Abstimmungskampagne zeichnete sich ab. Und bekannterweise ist eine Volksabstimmung eine teure Sache, unser Anliegen musste gegen Bundesrat und Parlament gewonnen werden.

Kampagne und Sieg an der Urne

Die Kampagne verlangte eine Strategie und viel Geld, das zuerst einmal organisiert werden musste. Dass im Parlament relativ kaltschnäuzig die Anliegen der Tabakindustrie bevorzugt wurden, half der Mobilisierung von weiten Teilen der Engagierten für Prävention und Gesundheitsförderung. Die Allianz, die die Unterschriften gesammelt hatte, bewies ihren Zusammenhalt und den Willen, nach 30 Jahren Stillstand endlich einen neuen Versuch gegen die überbordende Tabakwerbung zu unternehmen. Lungenligen, Aerzteorganisationen, Krebsligen sowie Sport- und Jugendorganisationen, aber auch Private spendeten genug Geld, um eine kleine, feine Kampagne auf die Beine zu stellen. Zusammen mit der Agentur Feinheit waren wir am 1. Oktober 2021 bereit: Startschuss war das Ja des Parlaments zum schlechten Tabakproduktegesetz, das jetzt, drei Jahre später in Kraft tritt. Wir selber hatten vier Monate Zeit, die bessere Alternative, unsere Initiative, zu bewerben.

Unsere Gegner versuchten es mit Angstmacherei, und dies in einem Ausmass, dass sogar die Hühner gelacht haben. Cervelat- und Rüeblitortenverbote wurden auf den Plakaten als Drohbild an die Wand gemalt, die berühmte Selbstverantwortung überstrapaziert – und dies alles, obwohl wir nur Minderjährige vor Tabakwerbung schützen wollten. Das hat uns der Souverän abgenommen: Am Abstimmungssonntag im Februar 2022 konnten wir feiern, mit Cervelats auf dem Grill und Rüeblitorten zum Dessert: 56.6% der Stimmenden und 15 Stände hatten uns zum Sieg verholfen! Die Freude war riesig, noch selten hat ein Präventionsthema diese Hürde übersprungen!

Die Umsetzung der Verlierer
So begann der berühmte policy cycle auf ein neues: Der Bundesrat veröffentlichte seine Botschaft zur Umsetzung unserer Initiative im Mai 2023, im Sommer lud die SGK-S zur Anhörung in Sachseln, im September 2023, kurz vor den Wahlen, befasste sich der Ständerat mit dem Geschäft. Und siehe da, ein weiteres Déjà-vu, man rieb sich die Augen: Freihändig erlaubten sich gewisse Senatoren wilde Verfassungsinterpretationen. Zigarren und Zigarillos waren plötzlich keine Tabakprodukte mehr, mobiles Verkaufspersonal machte eigentlich gar keine Werbung und leicht verhülltes Sponsoring wäre auch kein Problem mehr gewesen. Man wähnte sich zeitweise im falschen Film!

Wer nun gedacht hätte, es könne nicht schlimmer kommen, rechnete nicht mit dem neugewählten Nationalrat. Der Volkswille wurde gebogen und verlogen, Presse, Sponsoring und mobiles Marketing wurden wundersam wieder für Tabakwerbung geöffnet. Das konnte nur schief gehen und so war es auch: es kam nicht einmal ein Entscheid zustande, das Geschäft kam für einen neuen Anlauf zurück zum Ständerat. Dass dort mit den Wahlen keine chambre de reflexion hingezaubert wurde, erkannte man am 16. September: nur gerade mit einer Stimme Unterschied wurde die offensichtlichste Umsetzungssünde korrigiert, Zigarren und Zigarillos wieder zu Tabakprodukten erklärt. Ansonsten konnte sich die Tabaklobby auf die Schulter klopfen, vor dieser Umsetzung unserer Initiative müssen sie sich nicht fürchten.

Fazit
So bleibt also nach vielen Jahren versuchter wirksamerer Tabakprävention ein bitterer Nachgeschmack. Das Tabakproduktegesetz Version 1.0 tritt in Kraft und die vom Volk gewollte Revision, die vom Bundesrat vorgeschlagene Version 2.0, wird munter sabotiert. Die schlechten Verlierer werden sich auf die Schenkel klopfen. Und ein paar weitere Stimmbürgerinnen und -bürger werden sich sagen: Die in Bern machen ja doch, was sie wollen…
Wir bei polsan kennen den Refrain. Er wird nicht ohne Grund gesungen. Aber die Flinte ins Korn zu werfen ist nie eine Option. Denn der Politkreislauf und mit ihm die Erde drehen sich weiter, das Gestern ist morgen Geschichte – womit sich neue Chancen ergeben. In diesem Sinne: Wir bleiben dran, und haben den längeren Atem. Durchschnaufen, Aerger abschütteln und weiter geht’s! Gerade dieser Prozess zeigt, dass vieles möglich ist, sogar ein Sieg an der Urne gegen die Tabakindustrie und die Werbebranche. Wer hätte das noch vor 10 Jahren geglaubt? Nicht einmal der Autor…

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