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30. November 2021

Frustfoul gegen zivilgesellschaftliches Engagement

Sie hat Spuren hinterlassen, bis heute: Die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative. Vor einem Jahr scheiterte sie an der Urne, nur knapp am Ständemehr. Eine Mehrheit der Abstimmenden aber sagte damals «Ja» dazu, Konzerne und Firmen mit Sitz in der Schweiz für Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung von Umweltstandards haftbar zu machen, und zwar unabhängig davon, wo auf der Welt diese begangen werden.

Vom knappen Ausgang aufgeschreckt reagierte das wirtschaftspolitische Establishment heftig. Offenbar erstaunt und verärgert darüber, dass es einer starken zivilgesellschaftlichen Allianz von Non-Profit-Organisationen um ein Haar gelungen wäre, sich gegenüber mächtigen Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Anstatt zu akzeptieren, dass es einer Mehrheit der Menschen in der Schweiz nicht egal ist, mit welchen Mitteln sich Schweizer Konzerne im In- und Ausland ihren Profit erwirtschaften, anstatt anzuerkennen also, dass vielen Menschen ethisch-moralische Leitplanken des Wirtschaftens wichtig sind, störte man sich derart an der kleinen Machtdemonstration einer «aufmüpfigen» Zivilgesellschaft, dass sich Wirtschaftsvertreter im Parlament zu einem Frustfoul hinreissen liessen.

Angestossen hat dieses FDP-Ständerat Ruedi Noser mit der Motion (20.4162). Sein Ziel: Juristischen Personen den Charakter der Gemeinnützigkeit absprechen, wenn sie sich politisch engagieren. Die Folge: Sie verlieren ihren Anspruch auf Steuerbefreiung, auf das traditionellerweise Anrecht hat, wer sich gemeinnützig engagiert. In einem Gemeinwesen, das so sehr auf Subsidiarität, Miliz und Föderalismus setzt wie die Schweiz, hat diese Steuerbefreiung nicht nur wichtige Symbolkraft, sondern ist für sehr viele Vereine und Stiftungen überlebenswichtig.

In seiner Begründung gibt Noser offen zu, dass ihm namentlich die Engagements gemeinnütziger Organisationen gegen das Jagdgesetz und gegen die Konzernverantwortungsinitiative ein Dorn im Auge waren. Die Steuerbefreiung sei deshalb an die Bedingung zu knüpfen, dass eine Organisation im allgemeinen Interesse und uneigennützig handle, argumentiert er, und sieht Engagement im Rahmen einer Volksabstimmung als im Widerspruch dazu.

Nach dieser Logik haben Non-Profit-Organisationen wie der kleine Tierschutzverein, der sich im Rahmen einer Abstimmung auch mal für Verbesserungen bei der Tierhaltung einsetzt, also fortan Steuern zu bezahlen, während Milliarden-vereine wie die FIFA auch weiterhin steuerbefreit bleiben, weil sie angeblich nicht politisch aktiv sind. Das ist, mit Verlaub, nicht nur undemokratisch, sondern auch unschweizerisch angesichts der Bedeutung, die gemeinnützige Vereine und Stiftungen für das gesellschaftliche und politische Leben in der Schweiz haben. Es offenbart überdies eine erschreckende Haltung gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement: Es ist über Anreize zu belohnen, weil man um dessen wichtige Rolle weiss, aber nur solange es nicht zu unbequem oder gar gefährlich wird.

Der Bundesrat lehnt die Motion mit Verweis auf die geltende Rechtspraxis ab: «Die Steuerbefreiung ist zu verneinen, wenn eine Institution politische Ziele verfolgt, nicht aber, wenn für die Erreichung eines gemeinnützigen Zweckes politische Mittel eingesetzt werden.» Es liegt schlicht in der Natur der Sache, dass sich gemeinnütze Organisationen in einer Demokratie zur Erreichung ihrer Ziele oder ihres Zwecks auch politischer Instrumente bedienen können müssen. Sie dafür zu bestrafen, indem man ihnen das Anrecht auf Steuerbefreiung streicht, wäre ein reichlich undemokratisches Signal.

Es bleibt zu hoffen, dass der Nationalrat dem Ständerat für dieses Frustfoul die rote Karte zeigt.

Autor: Yvan Rielle

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